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Implikationen und Herausforderungen des Ganztagsförderungsgesetzes (GaFöG) für Kommunen in NRW (II) – Erfahrungen aus 10 Jahren Rechtsanspruch in Hamburg

Die bevorstehende Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz im Primarbereich stellt Kommunen auf unterschiedlichen Ebenen vor große Herausforderungen. Aus diesem Grund wurde das Thema im Rahmen der interkommunalen Netzwerktreffen der Steuerungsebene im Projekt DialOGStandorte als Veranstaltungsreihe gesetzt. Beim letzten Treffen am 22. März 2022 führte Prof. Falk Radisch grundlegend in das Thema und damit verbundene Herausforderungen und Anforderungen für Kommunen ein. Beim anschließenden Netzwerktreffen am 11. August 2022 wurde hieran anknüpfend mit Hamburg ein Praxisbeispiel einer Stadt präsentiert, die bereits 2012 einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung im Primarbereich eingeführt hat. Mit Dr. Arne Offermanns (Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg Referat Ganztag – Struktur- und Prozessentwicklung) und Dunja Meyer (ehemals Projektberatung zur Umsetzung der Ganztägigen Bildung und Betreuung an Schulen (GBS) in Hamburg) konnten zwei Referent*innen gewonnen werden, die den Prozess in Hamburg lange Jahre begleitet haben (und bis heute begleiten) und von entsprechenden Erfahrungen berichteten.

Einführend gingen die beiden Referent*innen auf die Entwicklung, gesetzliche Grundlagen sowie die verschiedenen Umsetzungsvarianten des Hamburger Ganztags ein. Seit 2012 gilt der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz, gemäß § 13 des Hamburger Schulgesetzes, für alle Schüler*innen von der Vorschulklasse bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres in der Zeit von 08:00 – 16:00 Uhr an jedem Schultag (vgl. § 13 HmbSG). Die Umsetzung des Gesetzes ist, laut den Referent*innen, nur durch die enge Verzahnung von Jugendhilfe und Schule gelungen. Ein weiterer wichtiger Aspekt zur Qualitätssicherung war außerdem die Einrichtung einer Fachberatungsstelle. Im Rahmen des Ausbaus und der Weiterentwicklung von Ganztagsgrundschulen wurden an allen Standorten Schulbesuche unter Beteiligung aller relevanter Akteure mit dem Ziel durchgeführt, Bedarfe und Entwicklungsschritte für einen erfolgreichen Ganztag abzuleiten. Ein Jahr später wurde geprüft, ob diese gelungen sind, beziehungsweise inwiefern noch Nachbesserungsbedarf besteht. Diese Schulbesuche waren, laut den Referent*innen, ein entscheidendes Instrument für die Qualitätsentwicklung, -sicherung und -kontrolle an den Standorten.

Die Umsetzung des Ganztagsangebots im Primarbereich erfolgt in Hamburg in zwei unterschiedlichen Modellen:

  • Im Rahmen der Ganztagsschule nach Rahmenkonzept (GTS) wird der Ganztag in alleiniger schulischer Verantwortung umgesetzt und als offene, teilgebundene oder gebundene Form angeboten. Die Teilnahme ist außerhalb der gebundenen Zeiten freiwillig und tageweise buchbar. Zur Umsetzung arbeiten die Schulen mit Dienstleistern der freien Kinder- und Jugendhilfe zusammen.
  • Das Modell der Ganztägigen Bildung und Betreuung an Hamburger Schulen (GBS) ist eine Form der offenen Ganztagsschule, in dem die Schule in geteilter Verantwortung mit einem Jugendhilfeträger kooperiert. Nach Anmeldung ist die Teilnahme an mindestens 3 Tagen die Woche bis jeweils mindestens 15 Uhr verpflichtend. In den Zeiten des Kooperationspartners gilt der Rechtskreis der Kinder- und Jugendhilfe. Im Landesrahmenvertrag, der zwischen Ministerien und Jugendhilfeträgern geschlossen wird, sind die Rahmenbedingungen (Qualifikation der Fachkräfte, Betreuungsschlüssel, etc.) beschrieben. Alles Weitere (gemeinsames pädagogisches Konzept, Raumkonzept, etc.) wird über einen Kooperationsvertrag zwischen Schule und Träger vor Ort geregelt. 
  • Unabhängig vom Modell – ob GTS oder GBS – sind die Standorte verpflichtet, ein eigenes Raumnutzungskonzept zu entwickeln, da aufgrund der geringen Platzkapazitäten in Hamburg nahezu alle Räume gemeinsam für Unterricht und Ganztagsangebote genutzt werden.

Herr Offermanns und Frau Meyer berichteten außerdem über die aktuellen Auslastungszahlen des Ganztags. Dabei zeigte sich, dass die Inanspruchnahmezahlen mit dem steigenden und qualitativ guten Angebot schnell angestiegen sind. Von einer ursprünglich angenommenen Teilnahmequote von 60 % in den Kernzeiten, waren die Zahlen bereits 2015 bei über 80 %.

Nach dem Input der Referierenden wurde die Diskussionsrunde anhand von Thesen zur Ausgestaltung des Ganztags eröffnet. Trotz unterschiedlicher Grundstrukturen der Ganztagsbetreuung in Hamburg und in NRW wurde dabei deutlich, dass es immer wieder dieselben Themen sind, die Land, Kommunen und Schulstandorte bei der Umsetzung der Ganztagsbetreuung vor Herausforderungen stellt. Der fachliche Austausch zwischen den Inputgebenden aus Hamburg und den Teilnehmenden war entsprechend bereichernd. An der These „Gute Ganztagsschulen fangen mit der Planung der Mittagspause an“ entfachte sich eine Diskussion von dem frei wählbaren Zeitpunkt der Essenseinnahme der Kinder und die allgemeine Ausgestaltung des Mittagessens, über Raumnutzungskonzepte der Schulstandorte hin zu der Frage, wie multiprofessionelle Kooperation und eine gute Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit den Eltern aussehen müssen, unter der Prämisse, dass mit dem Ganztag kein bloßer Lernort geschaffen, sondern ein Lebensraum gestaltet wird.   

Der Austausch zu den Erfahrungen aus Hamburg machte deutlich, dass die Umsetzung des Ganztags immer auch von den Rahmenbedingungen und den Professionellen vor Ort (und deren Haltung) abhängig sind. Gleichzeitig ist die Vorgabe von Mindeststandards unabdingbar, um sicherzustellen, dass ein gewisser Qualitätsstandard überall vorliegt. Besonders deutlich wurde außerdem, dass das Angebot die Nachfrage schafft: Nach aktuellen Zahlen haben im vergangenen Jahr über 90% der Kinder eines der ganztägigen Bildungs- und Beratungsangebote in Hamburg wahrgenommen. Entsprechend gilt es für NRW weiterhin den Ganztagsausbau zu forcieren und dies mit entsprechenden Ressourcen und Konzepte zu unterlegen, um auch eine gewisse Qualität der Angebote gewährleisten zu können.

„Ganztag ist nicht die Zeit, die neben dem Unterricht übrigbleibt, sondern bewusst gesetzte Zeit, bewusst gesetzter Freiraum.“ Dr. Arne Offermanns


Weiterführende Literatur

Hamburg macht Schule (4/2021): Ganztags qualitätsvoll Gestalten. Abrufbar unter: https://www.hamburg.de/contentblob/15654444/88bf4c3f24e05a64020981a4d615d82f/data/hms-4-2021.pdf

Schulte, K.; Hartig, J.; Pietsch, M. (2014): Der Sozialindex für Hamburger Schulen. In D. Fickermann & N. Maritzen (Hrsg.): Grundlagen für eine daten- und theoriegestützte Schulentwicklung. Konzeption und Anspruch des Hamburger Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ). Abrufbar unter: https://www.hamburg.de/contentblob/4458462/5f7d1b2af92c58e7328be298374bbb05/data/pdf-schulte-und-hartig.pdf